Veganpartei startet in die Europawahl (fast) ohne Wahlplakate
Lange wurde intern diskutiert, letztendlich hat der Bundesvorstand eine mutige Entscheidung getroffen: Die V-Partei³ macht dem ersten Wort ihrer Langbezeichnung „Veränderung“ alle Ehre und wagt einen außergewöhnlichen Schritt. Bei der Europawahl 2024 wird sie neben einem kleinen Pilotprojekt auf neue Straßenplakate verzichten und setzt in Zeiten von Politikverdrossenheit ein deutliches Signal.
„Eine Partei muss damit beginnen, und das sind als einzig glaubwürdige Umweltschutzpartei wir, die V-Partei³“, gibt Bundesvorsitzender Roland Wegner in einer Pressemitteilung die Entscheidung bekannt. Die V-Partei³ wird deutschlandweit für die Europawahl auf gängige Straßenplakate verzichten und möchte damit eine Debatte über Ressourcenverantwortung, Klimaschutz, aber auch zur politischen Glaubwürdigkeit und Parteienfinanzierung anstoßen. Einzig ein ebenfalls interessantes einmaliges Pilotprojekt findet gleichzeitig in Stadt und Landkreis Augsburg dazu statt.
Die V-Partei³ begründet ihre innovative Entscheidung für die Europawahl mit folgenden Punkten:
- Ortsbild + Sicherheit
- Regel-WirrWarr
- Ressourcen und CO₂ -Emissionen, Glaubwürdigkeit
- Protest gegen fehlende Chancengleichheit
Ortsbild und Sicherheit
Viele Menschen stören sich am ausufernden Plakatieren, welches über viele Wochen das Ortsbild verändert. Immer wieder führt das sogar dazu, dass sich Bürgerinnen und Bürger aus Protest gar nicht mehr an der Wahl beteiligen. Vandalismus ist ebenfalls ein Zeichen der Ablehnung von Plakatierungswildwuchs. Nicht unbeachtlich ist das Gefährdungspotential für Verkehrsteilnehmende, das von (Wind oder Mensch) abgerissenen oder umgeworfenen Wahlplakaten ausgehen kann mit anschließenden Rechtsstreitigkeiten über die Haftung bei Unfällen und Schäden.
„Schon allein aus diesem Grund wäre eine Vereinheitlichung sinnvoll, etwa pro Partei und Ort / Ortsteil jeweils ein Plakat“, so Bundesvorsitzender Roland Wegner. Als Mitglied des Augsburger Stadtrats hat er sich für kommunale Plakatstellwände stark gemacht, was aber abgelehnt wurde.
Regel-Wirrwar
In Deutschland gibt es knapp 11.000 Gemeinden. Durch die Selbstverwaltungshoheit obliegt es jeder Kommune, welche Regeln sie für die Benutzung von Straßen, Plätzen und Wegen im Zusammenhang von Wahlplakaten aufstellen möchte. Vielerorts müssen Parteien eine grundsätzliche Genehmigung zur Plakatierung einholen, einige Städte (z. B. Berlin) verlangen sogar Kaution, was auch für die Verwaltungen bei jeder Wahl eine zusätzliche Belastung darstellt. Komplizierter wird es für die Parteiverantwortlichen, wenn auch noch die jeweiligen Genehmigungen bei den Plakatgrößen und/oder beim Material abweichen. Manche Kommunen (z. B. München) verlangen eine Bodenverbindung und verbieten gleichzeitig das Plakatieren an Bäumen, was im Prinzip nur den Einsatz freistehender Plakatständer ermöglicht, die aufwändiger hergestellt, transportiert, aufgestellt und anschließend eingelagert werden müssten. Manche Kommunen erlauben Plakate an Verkehrsschildern, manche nicht, auch gibts unterschiedlichste Bannmeilen und Abstandsregeln, was das Regel-Wirrwarr komplettiert.
„Die Menschen erwarten, dass sich Verwaltungen, Parteien und Politiker mit ihren zeitlichen und finanziellen Ressourcen für positive Veränderungen einsetzen und sich nicht monatelang mit der anspruchsvollen Plakatorganisation beschäftigen müssen. Sinnvoller wäre eine deutschlandweit einheitliche Regel. Entweder die in einigen Orten bereits zur Verfügung gestellten Plakatstellwände in jeder Kommune oder ein gänzliches Verbot von Plakaten“, fordert Bundesgeneralsekretärin Constanze Beck, die auf der Europawahlliste auf Platz 2 kandidiert.
Ressourcen und CO2-Emissionen, Glaubwürdigkeit
Bei den bisherigen Wahlen hat die V-Partei³ auf Kartonplakate gesetzt. Diese werden als umweltfreundlicher zu den üblichen Hohlkammerplakate aus Plastik gewertet. Ob das einer Ressourcenbilanz standhält, kann zumindest durch den aufwendigen Förder- und Herstellungsprozess angezweifelt werden. Denn es dürfte vielmehr das Marketing der Druckereien („umweltfreundliche, klimaneutrale Herstellung“) sein, auf das sich gestützt wird und es entspricht leider dem Zeitgeist, Ressourcenverbräuchen ein grünes Image zu verpassen. „CO₂-Ausgleich“ und Produktkennzeichnungen tun da ihr Übriges.
Das umweltfreundlichste Wahlplakat ist das, welches nicht hergestellt wird!
Die Aktion der V-Partei³ spart im Vergleich zu anderen Parteien bei deutschlandweit im Schnitt jeweils 100.000 Plakaten* mindestens: 172 Tonnen Holz, 4 Millionen Liter Waser, 1.040.000 kWH Strom und 77,6 Tonnen CO₂-Äquivalenz. Bei Verwendung von Recycling-Papier sind es ca. 15 % weniger, aber 65,7 Tonnen CO₂-Äquivalenz sind immer noch enorm (Quelle: Nachhaltigkeitsrechner Papiernetz.de). Nicht einkalkuliert sind weitere Energieaufwendungen wie zum Beispiel Druckfarbe, Kabelbinder, Anlieferung, Fahrten zum Auf- und Abhängen und die Entsorgung.
Zur Europawahl treten 34 Parteien an. Bei einer Annahme von vorsichtig (niedrig) kalkulierten 75 Tonnen CO₂-Äquivalenz pro Partei im Schnitt sind die 33 plakatierenden Parteien zusammen für circa 2,5 Millionen Kg (2.475 Tonnen) CO₂-Äquivalenz verantwortlich. Eine beachtliche Summe, die das CO₂-Restbudget (in Bezug zur Pariser Klimakonferenz mit Blick auf die Temperaturschwelle von 1,5 °C bis 2,0 °C) bei Beibehaltung der aktuellen Situation allein durch die Plakatflut von Wahl zu Wahl reduziert.
Die Dringlichkeit der Reduzierung hat erst kürzlich der Sachverständigenrat zu Umweltfragen nochmal festgestellt.
Die V-Partei³ will mit ihrer Entscheidung zur Europawahlplakatierung ein deutliches Zeichen setzen, an welchen Stellen sinnvoll Energie und Ressourcen für den uns alle moralisch verpflichtenden Klimaschutz eingespart werden können, und dass politische Glaubwürdigkeit gerade auch in Sachen Umweltschutz ein hohes Gut ist.
Protest gegen fehlende Chancengleichheit
Bei einem 100 Meter-Lauf haben alle Teilnehmer die gleichen Chancen, alle müssen sich an den Startschuss halten, alle laufen 100 Meter. Bei einem Wahlwettbewerb sieht es ganz anders aus. Etablierte und größere Parteien erhalten einen Vorsprung, kleinere Parteien starten 20 Meter weiter hinten und haben zusätzlich noch Hürden aufgestellt.
Begründet werden verschiedene Maßnamen (z. B. TV-Sendezeiten) mit der „abgestuften“ Chancengleichheit, die in Wirklichkeit eine undemokratische Benachteiligung politischer Bewerber ist. Neben den deutlichen Unterschieden im finanziellen Budget (etablierte Parteien erhalten für die Finanzierung ihrer Wahlkämpfe staatliche Unterstützung) stellen Kommunen mit Plakatstellwänden kleineren Parteien weniger Plakatwerbeflächen zur Verfügung. So kommt es tatsächlich vor, dass auf einigen Plakatwänden die CSU zwei Flächen erhält und die V-Partei³ keine. Manche kommunalen Plakatverordnungen verhindern Werbung kleinerer Parteien auch auf andere Weise. Darf man beispielsweise nicht an Bäumen plakatieren und gibt es in gewissen Straßenzügen keine Straßenlaternen, bleiben nur freistehende Plakatständer als Möglichkeit. Größere Parteien mieten sich diese von darauf spezialisierten Firmen an. Diese Gelder stehen kleineren Parteien i. d. R. nicht zur Verfügung.
Pilotprojekt in Stadt und Landkreis Augsburg
Neue Wege zu gehen, das zeigt die V-Partei³ an verschiedenen Stellen ihres Wahlprogrammes. Neben geringen Plakatrestbeständen vergangener Wahlen, die noch aufgebraucht werden, hat sie zur Europawahl die „homöopathische“ Menge von 100 neuen Plakaten bestellt. „Pro Ort nur ein Plakat“ lautet das Pilotprojekt des Bezirksverbandes Schwaben und konzentriert sich dabei auf die Stadt und den Landkreis Augsburg.
Europawahl-Spitzenkandidat Simon Klopstock ist von der positiven Wirkung der Plakatverzicht-Strategie überzeugt. „Wir machen auf diese Besonderheit neben unserem Wahlprogramm natürlich über andere Wege (z. B. Social-Media, Kino, Infostände) die Öffentlichkeit aufmerksam und hoffen, dass unser Handeln von den Wähler*innen honoriert wird. Bei einem Erfolg der V-Partei³ wird das die Wahlwerbung der nächsten Wahlen sicherlich maßgeblich verändern“, so der Student der Politikwissenschaften.
Bei der Europawahl am 09. Juni 2024 gibt es keine 5-Prozenthürde und die Wahlteilnahme ist ab Vollendung des 16. Lebensjahres möglich. Die V-Partei³ ist auf dem Stimmzettel ganz unten auf Platz 34 (von 34 Parteien) gelistet.
*bei der Berechnung gingen wir von DIN A 1 Doppelplakaten auf Karton aus. Diese wiegen jeweils 0,8 Kg. Plakate in der Größe DIN B1 oder DIN A0 sind größer. Plastikplakate sind etwas leichter, liegen aber laut diversen Rechnern saldiert in Sachen CO2 über den Kartonplakaten (1 Kg Plastik ca. 2 Kg CO₂-Äquivalenz).